Ein Tag in der Anonymen Zuflucht
Aus Sicht eines Mädchens*
In der Mädchenzuflucht ist eigentlich fast alles wie zu Hause. Früh morgens geht man in die Schule oder zur Ausbildung. Nachmittags kommt man zurück in die Zuflucht und erledigt Hausaufgaben und/oder seinen Dienst. Danach hat man Freizeit und am Abend wird oft zusammen mit den anderen Mädchen* gegessen.
Der Unterschied ist nur, dass man in einem komplett anderen Umfeld ist, d.h. neuer Wohnungsort und neue Leute um einen herum. Es gibt 2 Doppelzimmer und 2 Einzelzimmer, in denen insgesamt 6 Mädchen* wohnen können. Außerdem arbeiten in der Zuflucht auch viele nette Betreuerinnen, die rund um die Uhr für dich da sind und dir helfen können. Das kann erst mal etwas komisch sein, da nicht bei jedem zu Hause so viele Menschen sind. Man muss sich erst daran gewöhnen, dass ständig Leute da sind.
Am Anfang ist es ein sehr merkwürdiges Gefühl, denn man weiß nicht wo man hinfährt oder was auf einen zukommt, aber hier wird einem geholfen. Es wird auch eng mit dem Jugendamt zusammen gearbeitet, damit eine gute Lösung für dich gefunden wird. Es ist kein Problem, wenn man vorher noch nicht mit dem Jugendamt zu tun hatte, oder wenn man schlechte Erfahrungen gemacht hat, denn es steht dir immer eine Betreuerin zur Seite, die dir hilft und dich unterstützt. Für mich ist das ein sehr angenehmes Gefühl, da ich mir keine Sorgen machen muss. Ich muss mich nicht mehr alleine darum kümmern.
Es sind nicht immer 6 Mädchen* da, sondern es wechselt öfters und das macht die Sache besonders. Ich brauche auch keine Angst zu haben, dass ich mich nicht mit den Mädchen* vertrage, denn die Chance ist hoch, dass sich was ändert, denn es sind immer wieder neue Leute da. So ist es nie langweilig. Jedes Mädchen* hat seinen eigenen Dienst, der pro Woche wechselt. Man soll zum Beispiel einkaufen gehen oder anderes. So entwickelt man Pflichtgefühl und man ist ja auch stolz, wenn man eine Sache erledigt hat und dafür Lob bekommt bzw. was für die Gruppe tut. Jeden Mittwoch und Samstag putzen wir zusammen. Das macht immer sehr viel Spaß, da man nie weiß, was passiert. Ob es zum Beispiel ein lustiger Putzeinsatz wird und viel gelacht wird, so dass man von seinen eigenen Problemen abgelenkt wird. Am Montag ist unser Hausabend, wo wir zusammen essen und danach was zusammen machen, wie zum Beispiel rausgehen und Volleyball spielen. Ich fühle mich dann immer so, als wären wir eine Art „kleine Familie“ und das macht mich immer sehr glücklich. Schön ist auch, dass wenn irgendwelche Feste sind, wir immer was zusammen machen. Zu Ostern waren wir zum Beispiel auswärts Brunchen und haben davor noch die Mädchenzuflucht schön österlich geschmückt. Auch hat man innerhalb der Woche mehrere Gespräche, wo über die eigene Zukunft gesprochen wird und darüber, wo man Hilfe bekommen kann. Die Betreuerinnen haben immer ein offenes Ohr für dich, egal worum es geht, du kannst sie immer um Hilfe bitten. Hier fühlt man sich geborgen und auch verstanden. Das gibt mir ein Gefühl von Wohlsein.
Insgesamt ist die Mädchenzuflucht eine sehr schöne Sache für Mädchen* bzw. junge Frauen*, die gerade nicht wissen, wie es weiter gehen soll. Man bekommt Hilfe und findet auch eventuell neue Freundinnen, da man viel zusammen macht und sich gut austauschen kann, da die anderen ja eventuell auch die gleichen Dinge erlebt haben.
Ein Tagdienst aus Sicht einer Betreuerin
Schon bevor ich die Mädchenzuflucht betrete, frage ich mich was mich heute erwartet. Wurde vielleicht ein neues Mädchen* aufgenommen? Mit wem habe ich heute ein Gespräch? Und wie oft wird wohl das Telefon klingeln?
An der Tür werde ich von meiner Kollegin aus dem Nachtdienst begrüßt. In der nächsten halben Stunde erfahre ich in der Übergabe alle wichtigen Informationen zur aktuellen Situation, den Mädchen*, sowie zu nötigen Telefonaten und Terminen. Es bleibt auch Raum für Absprachen und Fragen.
Da die Mädchen* zu dieser Zeit in der Schule oder der Ausbildung sind, ist es ruhig. Ich nutze die erste Zeit für wichtige Telefonate z. Bsp. mit dem Jugendamt und vereinbare Arzttermine, welcher zuvor mit dem Mädchen* besprochen wurde. Neben den Telefonaten bearbeite ich die Mails und erledige Büroarbeiten. Außerdem lese ich mich in die Akte des neu aufgenommenen Mädchen*s ein.
Eines der Mädchen* hat heute einen Termin im Jugendamt. Die Kollegin in der Rufbereitschaft begleitet sie. Nachdem Gespräch erhalte ich von ihr eine Rückmeldung: das Mädchen* wird in ein betreutes Wohnen ziehen und wir sollen dies vorbereiten. Ich spreche mich kurz mit meiner Rufbereitschaft übers Telefon ab, wie das am Nachmittag anstehende Gespräch zu gestalten ist.
Gegen halb eins beginne ich das Mittagsessen zu kochen. Die Mädchen* kommen nach und nach aus der Schule und wir essen gemeinsam. Beim Essen erfahre ich von den Ereignissen des Tages und kann mit den Mädchen* die Freizeit am Nachmittag besprechen. Doch zuvor stehen noch die Hausaufgaben an. Einige der Mädchen* erledigen diese allein, andere benötigen noch einen kleinen Anstoß oder etwas mehr Unterstützung.
An diesem Nachmittag habe ich zwei Gespräche und nehme mir Zeit für deren Vorbereitung. Mit den Gesprächen versuchen wir die Mädchen* kennenzulernen, gemeinsam eine mögliche Perspektive zu finden und an individuellen Themen zu arbeiten. Ich bespreche heute mit Melanie* (Namen stehen stellvertretend) das Gespräch im Jugendamt nach und wir sprechen über den Umzug ins betreute Wohnen. Dabei diskutieren ihre Wünsche, Vorstellungen und Ziele, die sie bei der anstehenden WG Besichtigung klären möchte. Im zweiten Gespräch erarbeite ich mit Olivia* das Genogramm, um das familiäre Umfeld des Mädchens besser Kennenzulernen. Im Anschluss schreibe ich noch die Protokolle.
Im nächsten Telefonat werde ich von einem Mädchen* angerufen, welches mich um Hilfe bittet. Sie erzählt mir von ihrer Notlage und wir besprechen mögliche weitere Schritte. Da sie aktuell noch nicht bereit ist ein Treffen mit uns in Anspruch zu nehmen, schlage ich ihr einen Besuch in unserer Kontaktstelle, dem Jugendamt und auch den erneuten Anruf in der Zuflucht als Alternativen vor.
Um halb sechs klingelt meine Kollegin für den Nachtdienst. In der Übergabe informiere ich sie über den aktuellen Stand und den offenen Aufgaben. Mit der Übergabe endet mein Arbeitstag in der Zuflucht und ich bin schon gespannt, was mich nächstes Mal erwartet.